Sex und Drogen und Korruption – Teheran als animierte Sin City »Wenn man in Teheran leben will, muss man lügen. Das hat nichts mit Moral zu tun; in Teheran lügt man, um zu überleben. Die Notwendigkeit, sich zu verstellen, ist überraschend egalitär verteilt – sie existiert über alle Klassenschranken hinweg, und es gibt keine religiösen Unterschiede, wenn es um Lug und Trug geht. Einige der frömmsten, rechtschaffensten Teheraner sind am begabtesten und raffiniertesten in der Kunst der Täuschung. Wir Teheraner sind meisterhaft darin, die Wahrheit zu manipulieren.« (Ramita Navai, »Stadt der Lügen: Liebe, Sex und Tod in Teheran«, 2016) Ali Soozandehs Spielfilmdebüt, der Animationsfilm Teheran Tabu, überrascht den Zuschauer gleich zu Beginn mit einer seiner pointiertesten Szenen. Ein Autofahrer lässt sich während der Fahrt von einer Prostituierten oral befriedigen – und regt sich wahnsinnig auf, als er am Straßenrand seine Tochter, »diese Schlampe«, mit einem jungen Mann händchenhaltend den Boulevard entlang schlendern sieht. Nov 13, 2017 - Liebe und Sexualität sind Tabus im Iran – zumindest öffentlich. Wie aus Restriktionen Doppelmoral wird, zeigt der Kinofilm 'Teheran Tabu'. Er zeigt das Schicksal dreier Frauen. 'Sie leiden genauso unter den Einschränkungen der Gesellschaft wie Männer', sagte Regisseur Ali Soozandeh im Dlf. Teheran Tabu Deutschland, Österreich 2017, Laufzeit: 96 Min., FSK 16 Regie: Ali Soozandeh Darsteller: Elmira Rafizadeh, Zar Amir Ebrahimi, Arash Marandi. This is a man's world! Was erlaubt, was sozial angemessen ist, entscheiden immer noch die Väter, die Männer, die Gesetzeshüter. Doch zu was für Männern erzieht eine solche Welt ihre Söhne? Den Sohn der Prostituierten Pari beispielsweise, der die oben beschriebene Szene kaugummikauend vom Rücksitz des Autos aus beobachtet? Teheran Tabu erzählt mit frauenfreundlichem Blick Szenen aus dem Leben von vier jungen Teheranern: da sind die alleinerziehende, ehemals drogenabhängige Prostituierte Pari, die verheiratete, in bürgerlichen Verhältnissen lebende Sara, die gerne berufstätig wäre, das um seine Jungfräulichkeit besorgte Party-Girl Donya, das aus der Provinz stammt und sich nach einem neuen Leben sehnt, und der desillusionierte Musiker und Student Babak. Ihre Wege kreuzen und beeinflussen sich auf vielschichtige Weise und die Art, wie dieser Reigen komponiert ist, die Zwangsläufigkeit, mit der Begegnungen, erpressbare Abhängigkeiten und Netzwerke schicksalhafter Loyalitäten gespannt werden, erinnert bisweilen an die von Regie-Ikone Rakhshan Bani Etemad meisterhaft erzählten. Die Zusammenstellung des Personals, die drei Frauen, die sich mit Problemen zwischen Schwangerschaft, Prostitution und allgemein prekären Lebensverhältnissen herumschlagen müssen, lässt zudem eine entfernte Verwandtschaft zu Jafar Panahis anklingen. Und das Setting vom Mittelschichts-Apartmenthaus, in dem eine Prostituierte mit ihrem Kind lebt, ähnelt Asghar Farhadis. Auch wenn die Episoden aus dem Leben der drei Frauen im Mittelpunkt stehen und die Sympathie des Filmemachers offensichtlich den Frauen gilt, bleibt die Ausgestaltung ihrer Charaktere oft seltsam schablonenhaft und – trotz ihres markanten Selbstbehauptungswillen – können sie der ihnen zugeschriebenen Opferrolle letztlich nicht entkommen. Als Identifikationsangebot für die Zuschauer dienen vielmehr der junge Student Babak und Paris stummer fünfjähriger Sohn Elias. In Teheran Tabu zeigt sich die iranische Metropole als sündige Stadt der Lügen und der Doppelmoral. Ali Soozandeh hat für sein Spielfilmdebüt ein Drehbuch geschrieben, das auf eigenen Erfahrungen des Autors, auf zahlreichen Gesprächen mit jungen (Exil-)Iranern sowie weiter führenden Recherchen beruht. Doch erinnert es auch an manche der dokufiktionalen Porträts, die die britisch-iranische Journalistin Ramita Navai in ihrer collageartigen Reportage »Stadt der Lügen« von Teheran gezeichnet hat. Teheran Tabu KölnMöglicherweise ist diese Ähnlichkeit einem weithin festzustellenden Zeitgeist geschuldet, der nach Jahren klischeehafter Darstellungen des Iran in Form von religiös-fanatischen Frauen im schwarzen Tschador inzwischen lieber auf das – kaum weniger stereotype – Bild der hypersexualisierten jungen Städterin mit operierter Nase und gefärbten Haaren setzt, die, Drogen und Alkohol nicht abgeneigt, ausschweifende Partys feiert oder sonst dem Konsum frönt. Belle à croquer. Dabei ist diese visuelle Verschiebung nicht zuletzt auch einer Erwartungshaltung geschuldet, die im Fremden eine ins Exotische verschobene Spiegelung sucht, die im Kontrast die eigene (westlich geprägte und definierte) Freiheit umso klarer hervortreten lässt.
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April 2019
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